28.10.25

Interview mit Rainer Peraus – YOUTOPIA GROUP

Interviewreihe mit CEOs FOR FUTURE Beirät:innen

Rainer Peraus begleitet mit der von ihm gegründeten YOUTOPIA GROUP seit 20 Jahren eine Vielzahl an Top-Unternehmen aus allen Branchen auf ihrem Weg zu Ihrer Transformation und Neuerfindung – mittels Keynotes, Vorträgen, Trainings und Workshops, die zur Überwindung von Denkgrenzen ermutigen und neue Möglichkeiten entfesseln. Zudem gründete er UtopiaCan – ein gemeinnütziger Verein zur Ermutigung utopischen Denkens.


Frage 1: Aus der Perspektive deines Fachbereichs – welche konkreten Hebel siehst du, um die Transformation von Wirtschaft & Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu beschleunigen?

Zu Beginn eine essenzielle Frage: Wozu sollten wir Transformation überhaupt wollen – ist es nicht gut, wie es ist? Wandel bedeutet immer Kraftanstrengung, um sich in einer neuen Wirklichkeit und deren Ordnung erfolgreich zu verorten und zu behaupten – und Sicherheiten, Privilegien sowie bisherige Wahrheiten und Prioritäten infrage zu stellen. Doch es genügt eben nicht mehr, die mannigfaltigen Krisen unserer Zeit zu reparieren und Systeme, die wir seit Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgebaut haben, zu optimieren – und sich aus dem nicht gelösten Rest herauszuinnovieren oder mit Wachstum zu erschlagen.

Auch wenn diese Strategien nach wie vor am beliebtesten sind, bieten sie jedoch keine adäquate Antwort auf die Verwerfungen und das brachliegende Potenzial der Zeit. Ein guter Anfang für Wandel ist das tabuisierte Eingeständnis eines epochalen Endes – einer bis vor Kurzem nützlichen Wahrheit samt der dahinterliegenden Wirklichkeitskonvention.

Beispielsweise die so selbstverständliche Dominanz westlichen Denkens oder der Zwang (oder Segen?) ewigen materiellen Wachstums, aber auch die Zukunftsaussichten bestimmter Wirtschaftssektoren oder Unternehmensgeschichten. Nicht nur Veränderung ist eine Konstante, sondern auch der Untergang von Ordnungen, Wirklichkeiten – und mit ihnen jene Organisationen, die sich nicht an der Mitgestaltung eines neuen Weltverständnisses beteiligen oder wenigstens rechtzeitig an die neuen Spielregeln und Wahrheiten anpassen.

Wandel – ernst gemeint – bedeutet eben nicht, besser, sondern anders, und zwar ganz anders, zu machen. Denn „besser“ wäre im besten Fall nur die Verzögerung des unweigerlichen Untergangs zugunsten einer neuen Epoche und ihrer anderen Wahrheit. Verbesserung ist dann sinnvoll, wenn man die gewonnene Verschnaufpause für den notwendigen Neuanfang nutzt – und nicht, wie meist, mit der Lösung der eigentlichen Herausforderung verwechselt.

Der gefährlichste Irrtum ist jedoch, die eigentliche Anforderung zu verkennen. Denn Wandel bedeutet im Kern, den bisherigen Denk-, Möglichkeits- und damit Lösungsrahmen zu verlassen und aus der bisherigen Wirklichkeit und eigenen Identität herauszufinden. Transformation ist zuallererst Narrativrevolution – sowohl des Außen (was ist warum sinnvoll, wichtig und möglich), als auch der inneren, unbewussten Erzählung: Wer und warum sind wir – bzw. bin ich?

Die Herausforderung ist es, sich als Mensch, als Funktionsträger im gegenwärtigen System – beispielsweise als Führungskraft oder als Unternehmen – radikal neu sehen zu lernen, sich neu zu „erzählen“ und damit die eigene Identität aus einer neuen (!) Zukunft heraus neu zu verstehen. Die Herausforderung bei diesem Kraftakt ist scheinbar nicht zu schaffen – nämlich sich aus der Perspektive der noch undenkbaren Zukunft zu begreifen, die eben nicht auf der bloßen Verlängerung der Gegenwart beruhen kann. Wie kann das gelingen, kann man doch nur denken, was man kennt?

Die gute Nachricht: Menschen haben ein „Zukunftsgen“. Denn seit Jahrtausenden finden wir zuverlässig ins epochal Neue. Dazu hoffen und imaginieren Menschen Zukünfte, folgen utopischen Potenzialahnungen, deren Anziehungskraft sie das zunächst Undenkbare sehen lässt – und ermutigt, ins Unerprobte oder Unbekannte aufzubrechen.

Utopien sind auch die Geheimzutat jeder im Wortsinn not-wendigen Revolution – ohne sie ist Wandel nicht zu haben. Auch wenn wir hoffen, dass es nur immer besser und smarter wird und uns Brüche doch irgendwie erspart bleiben. Denn noch so gut gemeinte Moralkeulen oder Drohgewitter führen weniger zum Umdenken als zum Gegenteil – zu Reaktanz und Widerstand, wie die aktuelle Phase der kollektiven Verdrängung der anstehenden Herausforderungen zeigt.

Martin Luther King Jr. mobilisierte mit dem Satz: „I have a dream“ – und nicht mit: „You have a problem.“ Neben dem Traum bzw. der Utopie-Karotte ist auch der Leadership-Aspekt – I statt You nicht zu unterschätzen. Ein kurzer Vorgriff, was CEOs tun können: Utopic.Leadership leben!

Die wichtigsten Hebel, um Transformation zu beschleunigen, sind daher:

  1. Aufbau echter Transformationskompetenz, gerade bei Entscheider:innen.
    Das beginnt beim Wissen um das Wesen und den Prozess der Transformation. Dies führt dazu, dass technische Lösungen im bisherigen System als das gesehen werden, was sie sind: bestenfalls Verschnaufpausen. Außerdem würden die Prozesse des „Wandels“ nicht mehr der Logik technischer Optimierung oder dem Irrtum „Wissen macht Wandlung“ folgen, sondern mehr der Figur der Reifung in eine davor undenkbare neue Lebensphase. Das gilt für Personen ebenso wie für Organisationen oder den gesellschaftlichen Wandel. Entwicklung wird dann nicht mehr als mechanische Herausforderung bewertet, sondern als Reifung – vergleichbar mit einer Entwicklungskrise wie dem Schritt von einem Lebensabschnitt in den nächsten. Denn wer könnte sich als Kind die Welt eines pubertierenden Jugendlichen vorstellen – oder als Jugendlicher sich in die Wirklichkeit eines Erwachsenen einfühlen? Doch darum geht es: um das Mäandern in eine zuvor unverstellbare neue Lebenswirklichkeit und Identität.
  2. Aufbruch nach Utopia, gerade von Verantwortungsträger:innen. Auch wenn das angesichts der Bedrohungslage wie ein Witz oder Eskapismus klingt: Die Frage, wohin wir eigentlich wollen – außer wieder in die heile Welt von gestern –, ist für viele nicht zu beantworten. Wofür wollen wir den Wandel auf uns nehmen und die gefährliche Reise antreten? Was ahnen wir in unserer Zukunft Erstrebenswertes, und mit welcher Sehnsucht wollen wir andere zum Mitreisen einladen?

Frage 2: Welche Rolle können junge Menschen, deiner Einschätzung nach, in der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft übernehmen – und wie lassen sich ihre Potenziale besser nutzen und einbinden?

Viele junge Menschen sind längst unterwegs. Oft verstehen wir Älteren ihre Herangehensweise nicht und wünschen uns etwas anderes, weil wir Probleme bislang anders gelöst haben. Sie bauen die neue Welt längst. Würden wir sie öfter lassen – und nicht mit unseren zahllosen Privilegien und erworbenen (?) Sicherheiten aus einer nicht mehr gültigen Zeit behelligen –, ginge es noch schneller.

Mein Tipp ist daher: sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es anders wird, als wir dachten – und damit die Ansprüche loszulassen, auf die wir fälschlicherweise glauben, Rechte erworben zu haben. Vielleicht sind wir dann sogar selbst freier.

Ein bisschen wie im Lied von Herbert Grönemeyer: Gebt den Kindern das Kommando, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Aber im Sinne von: „Denn wir Älteren verstehen (noch) nicht, was sie tun.“ Auch wenn das vielleicht naiv klingt, ist es doch ein ernst gemeinter Appell zu echter Übergabe von Verantwortung – insbesondere dort, wo der demografische Wandel in Organisationen und der Gesellschaft zu einer Vergreisung des Denkens beiträgt.

Zusammengefasst: Nicht einen meist gut gemeinten, aber letztlich paternalistischen Dialog zu führen, sondern echte Verantwortung zu übertragen – und aufkommende Fragen partnerschaftlich zu beantworten, ohne zu glauben, dass Erfahrungen zwangsläufig auch für neue Zeiten taugen müssen.

Frage 3: Welchen konkreten Beitrag können insbesondere CEOs zur nachhaltigen Transformation leisten?

„Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?“ – dieses Zitat wird Jesus von Nazareth zugeschrieben und wäre ein guter Anfang für jede Frage nach Hebeln. Denn aus meiner Sicht ist der wichtigste Beitrag, sich selbst als Betroffener, Noch-nicht-Wissender und bestenfalls Anfängerin akzeptieren zu lernen. Zu oft erlebe ich, dass wir Expertinnen oder Führungskräfte meinen, wir hätten es verstanden – und müssten andere überzeugen, motivieren oder belehren. Eine gefährliche Anmaßung.

Die Kernaufgaben von Top-Führungskräften sind daher aus meiner Sicht:

Den Wandel anführen – durch innere Transformation.
Wandel kann man nur anführen, wenn man selbst im Inneren bereit ist, sich zu verändern. Die Transformation im Außen gelingt nur, wenn sich die innere Welt mittransformiert. Der persönliche Aufbruch ist der wichtigste Schritt, um eine nachhaltigere Zukunft denken und sehen zu lernen. Und das Beste: Dafür muss man niemanden um Erlaubnis bitten – außer vielleicht das eigene Ego beruhigen.

Die Entdeckung und Verwirklichung neuer (!) sinngebender Horizonte – und damit „Utopic.Leadership“ zu leben.
Ich habe diesen Begriff geprägt, weil er vieles vereint, worauf es in Zeiten des epochalen Umbruchs ankommt: das Gras wachsen zu hören, utopischen Ahnungen zu vertrauen und den Mut aufzubringen, aus der Deckung bisheriger Gewissheiten auszubrechen, wieder naiv und lernend zu sein – im eigentlichen Wortsinn Anfänger*in zu werden.

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Allgemein Beirat Interviews

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Beirat C4F CEOs FOR FUTURE Interview Rainer Peraus

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