27.10.25

Interview mit Martin Gerzabek – BOKU Wien & Christian Doppler Gesellschaft

Interviewreihe mit CEOs FOR FUTURE Beirät:innen

Univ.Prof. DI Dr.Dr.h.c.mult. Martin Gerzabek ist Professor für Umwelttoxikologie und Isotopenanwendung am Institut für Bodenforschung an der BOKU Wien, zudem Präsident der Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG) sowie wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie für Wissenschaften.


Frage 1: Aus der Perspektive deines Fachbereichs – welche konkreten Hebel siehst du, um die Transformation von Wirtschaft & Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu beschleunigen?

Eines ist klar: Es gibt keinen Planeten B, und die natürlichen Ressourcen sind endlich. Gesellschaft und Wirtschaft müssen die Chancen ergreifen, die sich aus der Transformation ergeben. Transformation bedeutet Fortschritt, nicht Rückschritt! Viele haben das bereits erkannt, und zahlreiche Vorzeigeprojekte wurden entwickelt. Die Kreislaufwirtschaft ist hier als zentrales Element der Transformation zu nennen. Als Präsident der Christian Doppler Forschungsgesellschaft freut es mich, dass sich mehrere CD-Labors und Josef Ressel-Zentren mit Themen der Rezyklierung, Wertstoffgewinnung sowie mit der Verlängerung von Standzeiten und Nutzungsdauern von Werkstoffen, Batterien u. a. m. beschäftigen.

Beispielsweise arbeitet Prof. Jakob Lederer (TU Wien) im CD-Labor für Design und Bewertung einer effizienten, recyclingbasierten Kreislaufwirtschaft gemeinsam mit elf Firmenpartnern daran, Baustoffe zu entwickeln, die aus Rückständen von Müllverbrennungsanlagen hergestellt werden. Ein erster Baustoff ist bereits zertifiziert. Im JR-Zentrum für Verwertungsstrategien für Textilien beschäftigt sich Dr. Christian Schimper mit einem brandaktuellen Thema – dem Recycling von Textilien. Prozesse zur schonenden Trennung von Mischgeweben und Rückgewinnung hochwertiger Materialien werden hier erforscht.

Frage 2: Welche Rolle können junge Menschen, deiner Einschätzung nach, in der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft übernehmen – und wie lassen sich ihre Potenziale besser nutzen und einbinden?

Die junge Generation ist der Schlüssel zur Transformation. Schon jetzt bringt sie neue Sichtweisen in viele gesellschaftliche Themenbereiche ein. Wesentlich ist dabei eine exzellente Bildung, die möglichst vielen jungen Menschen zugänglich gemacht werden sollte. Ein frühzeitig gefördertes, tiefes Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Natur, nachwachsenden Rohstoffen, nachhaltigen und effizienten Produktionsprozessen, Reststoffnutzung sowie der Bedeutung des eigenen Konsumverhaltens halte ich für essenziell.

Ebenso zentral ist die Förderung von Initiativen junger Menschen – die Transformation soll auch Spaß machen! Besonders wichtig ist mir zudem die Förderung unternehmerischen Denkens sowie von Start-ups und Spin-offs. Die CDG hat dafür erstmals das Programm S2S (Science to Spin-offs) ausgeschrieben, das jungen Postdocs helfen soll, bereits vorhandene, vielversprechende Ideen wissenschaftlich abzusichern und daraus weiterführende Geschäftsideen zu entwickeln.

Frage 3: Welche Rolle spielt der Bodenschutz in der nachhaltigen Transformation?

Auch hier gilt umso mehr: Wir haben nur einen Planeten. Weltweit geht die Fläche fruchtbarer Böden kontinuierlich zurück. Gründe dafür sind in einigen Regionen sehr hohe Raten der Bodenversiegelung – also die Nutzung für Infrastrukturzwecke –, aber auch Bodendegradation, Erosion, Verdichtung sowie massive klimatische Veränderungen. Dadurch werden auch die essenziellen Funktionen der Böden im Ökosystem eingeschränkt – es geht dabei nicht nur um Pflanzenproduktion, sondern auch um Klimaregulation, Schadstoffpufferung, Speicherung von Regenwasser, die Verminderung von Überschwemmungen und Rutschungen und viele mehr.

Eine nachhaltige Transformation kann nur gelingen, wenn wir ein Höchstmaß an biologisch aktiven Böden erhalten. Dazu gehört auch, bereits vorhandene, aber nicht mehr genutzte Infrastrukturen für neue Zwecke zu adaptieren („Brachflächenrecycling“) bzw. beim Neubau auf landwirtschaftlich genutzten Böden durch die Entsiegelung nicht mehr benötigter Flächen einen Ausgleich zu schaffen. Hier ist viel zu tun – nicht nur regulatorisch, sondern auch durch gezielte Anreize, die es der Wirtschaft erleichtern, neue Wege zu beschreiten.

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Allgemein Beirat Interviews

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Beirat C4F CEOs FOR FUTURE Interview Kreislaufwirtschaft Martin Gerzabek Nachhaltigkeit Transformation

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